Herbert Grönemeyer - Bochum
Verfasst: Fr 27. Feb 2015, 07:51
Bochum war 1984 nach einigen Flops das Tor zum Erfolg: 80 Wochen in den Charts und bis heute über 10 Millionen Mal verkauft. Eigentlich wären danach keine weiteren Platten notwendig gewesen - eigentlich. Reflektierte deutsche Texte hatten damals wie heute seltenheitswert - ist denn so viel besser geworden? Herbert lässt uns auf seinem ersten Megaseller an vielen berührenden und wichtigen Themen teilhaben: Heimatliebe ("Bochum"), Liebeskummer ("Flugzeuge im Bauch"), Sucht ("Alkohol"), transatlantische Freunde ("Amerika" - Herbert als Visionär; wer hätte damals gedacht, dass die NSA uns heute so gerne besucht?), Einsamkeit ("Für dich da"), Ohnmacht und Hilflosigkeit ("Jetzt oder nie"), Eifersucht ("Fangfragen"), frische Liebe ("Erwischt"), Verkehrs-Stress ("Mambo") - bedeutende Alltagsthemen und -sorgen hat Herbert Grönemeyer, mit dem ihm eigenen Sprachgefühl, auf Platte gebannt. Das Arrangement von Humor und augenzwinkernder Auseinandersetzung mit seelischem Drängen ist sein Markenzeichen geworden.
30 Jahre danach: Deutschland hat eine beeindruckend hohe Alkoholisierungsrate - der Stoff ist nicht nur bei Jugendlichen beliebt und billig. Amerika hat es nicht mehr nur auf Russland, sondern auf unsere Handys und Festplatten abgesehen - für Angela sind sie trotzdem unsere Freunde. Der Gini-Index liegt bei 0,78 - Deutschland hat ein Fieber, das die Demokratie gefährdet - lebensbedrohlich ist es nicht. Was fehlt noch bei der einzelnen Betrachtung? Männer („Männer“)! Die Kernfrage aus Bochum lautet: Wann ist ein Mann ein Mann? Identitätssuche im Viervierteltakt. Hätte Herbert damals schon bedacht, dass neben allen besungenen Fähigkeiten und Stärken auch Fürsorge und Familiensinn gefragt sind - er hätte dieses inspirierende Stück vielleicht nicht geschrieben. Und damit einen seiner größten Hits versäumt. „Männer kriegen keine Kinder“ - doch, sie werden Väter. Und dann? Bestechen mit Lässigkeit? Wenn Kinder ausreichend Nähe zu beiden Eltern erleben ist das ein schwindendes Glück. Patchworkfamilien werden zur Norm, bis zum ersten Schulwechsel ist die Kindheit in Frauenhänden. Die deutsche ist allzu oft eine vaterlose Gesellschaft. Vielleicht lenken die Kontroversen über die Politiker-Plagiate ein bisschen von der Misere hier unten ab. Wie klingt die moderne Männerfrage? „Jeder meiner Freunde fickt jeden deiner Freunde“ - ein berliner Rapper gröhlt sein perverses Verständnis von "Beziehungen" durch "In-Ears" ins schutzlose Teenager-Hirn, Gehörschäden wären als Folge noch das kleinste Übel. "Wie eine träge Herde Kühe schaun wir kurz auf - und grasen dann gemütlich weiter." Weitere Fragen klärt man am besten bei 'ner Currywurst, Deutschlands beliebtestem Kantinengericht. Grönemeyer hat den kulturellen Wert des Ruhrpott-Carpaccios erkannt - in Hannover an der Leine bestellt man Kanzlerplatte. Ganz zuletzt, aber die Frage darf in einem Hifi-Zirkel-Beitrag nicht fehlen... Wie klingt die Tonkonserve? Als Analogie zur Tafelkreide: pädagogisch wertvoll...
Zum Weiterlesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Gini-Koeffizient