Da in dem anderen Thread nach einer Dokumention gefragt wurde, möchte ich das hier nun nachreichen.
Es geht um einen Standlautsprecher, der 125 x 28 x 40 cm misst und kardioides Abstrahlverhalten bis gut 300 Hz rein passiv erzielt. Einen idealen Kardioiden kann man ganz schnell bauen, indem man drei Tieftöner stapelt, zwei strahlen nach vorne, einer nach hinten, zudem wird der hintere TT verpolt und verzögert. Nur funktionieren ideale Kardioide im Raum nicht richtig, die Wände stören das Verhältnis zwischen vorderem und hinterem Schall, die Auslöschung nach vorne wird zu stark. Dieses Verhalten kennt man bereits von Dipolen bzw. offenen Schallwänden, die sich mitten im Raum wohlfühlen, nicht aber in Wandnähe. Für eine wandnahe Aufstellung muss man sich also etwas einfallen lassen. So strahlt eine Dutch & Dutch 8c unter 100 Hz von sich aus gar nicht mehr kardioid, sondern gegen die Wand im Rücken und erreicht so ein Bündelungsmaß von immerhin 3 dB (kardioid wären es 4,77 dB). Eine Kii Three setzt auf seitliche Treiber und eine komplexe aktive Ansteuerung.
Nachdem ich das aktive CBA ausprobiert habe, wollte ich es passiv lösen. Der User Spatz hatte hierfür vor Jahren ein Verfahren vorgestellt und dies noch verfeinert. Er schickte mir eine Simulation mit je einem Treiber vorne und hinten, wobei der hintere auf ein größeres Volumen spielte und seine Membran beschwert wurde. Ich hatte jedoch sechs Treiber zur Verfügung, namentlich Omnes Audio Exclusive 8, wollte diese auch einsetzen (je zwei vorne und einer hinten) und auch nicht an der Membran rumfummeln. Also arbeitete ich in Boxsim solange an einer Vorsimulation auf TSP-Basis, bis es passte:
Zwei Tieftöner vorne in zusammen 40 Liter GHP, hinten einer auf Höhe zwischen den beiden vorderen in 40 LIter CB. Die vorderen Tieftöner bekommen zur Glättung der Impedanzspitze einen Vorwiderstand, die Weiche ist kaskadiert, d.h. der hintere Tieftöner hängt verpolt an dem Tiefpass der beiden vorderen und bekommt noch mal einen Vorwiderstand und eine Serienspule.
Immerhin noch ein Bündelungsmaß von 3 dB bei 50 Hz, das konnte sich doch sehen lassen. Jedoch war aufgrund des Frequenzgangs klar, dass es ganz passiv nicht geht, eine Vorentzerrung im Tiefton würde nötig sein:
Der Exclusive 8 ist ein belastbares Chassis mit niedriger Güte. Um ihm richtig Bass zu entlocken, muss er auf ein großes ventiliertes Gehäuse (Bassreflex oder TQWT) spielen. Bei drei beteiligten Treibern hätte das aber zu einem unvernünftig großen Volumen geführt. Formschön war nur mit CB machbar. Also entschied ich mich dafür und war schon darauf vorbereitet, dass es ohne Bassanhebung sehr dünn klingen wird.
Ein Gehäuse wurde gebaut, das auch die Spielpartner AMT 60 und Exclusive 6M beherbergt und eine Weiche entwickelt. Die Schallwand ist aufgedoppelt und wurde später noch stärker angefast, da ein Einbruch bei 1,4 kHz störte (Kantendiffraktion). Da erst bei 2,8 kHz zum Hochtöner getrennt wird, lag diese Delle im Bereich des Mitteltöners, wo ich sie nicht vermutet hätte. Der bereits gebaute Center hatte dieses Problem nämlich nicht und eine kurze Überprüfung mit Edge ergab, dass es an der Höhe der Schallwand lag. Anders als oft behauptet hat also nicht nur die Breite der Schallwand, sondern auch die Höhe Einfluss auf das Abstrahlverhalten. Die Schallwand wurde provisorisch verbreitert, die Tieftöner abgedeckt, doch nichts half außer den Fasen.
Die Weiche wurde auf 15 Grad entwickelt, da ich den LS wegen der kardioiden Abstrahlung nicht so stark einwinkeln wollte. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass die schon vorher vorhandenen Ripole bei mir nur parallel ausgerichtet funktionieren. Eingedreht erzeugen sie ein unschönes Maximum am Hörplatz. Somit sollte der Passivkardioid auch eher gerade stehen.
Von vorne ein ganz normaler Standlautsprecher mit recht großem Mitteltöner und rechteckigem Hochtöner, würde man meinen. Nur der Blick auf die Rückseite offenbart die Besonderheit:
Die Lautsprecher stehen nun mit 25 cm Abstand zur Stirnwand. Die Bassanhebung fällt deutlich niedriger als erwartet aus. Ich gebe im Tiefbass 3 dB drauf, das war's. Bei wandnaher Aufstellung ist eine bis in den Tiefbass lineare Abstimmung nicht erforderlich, ein sanfter Abfall kann gut passen, das hat sich auch hier bewahrheitet. Der Raum gibt ordentlich hinzu. Belohnt wird diese dezente Herangehensweise mit einem ultraknackigen, präsisen Kickbass, der süchtig macht, und einem klaren Mittelhochton. Nichts wird maskiert und der Kick (oft ein Problemkind in Wohnräumen) drückt mal so richtig. Tiefbass ist da, Filme schauen geht zur Not auch ohne Subwoofer.
Im Bass wurde also das Ziel voll erreicht. Den Mittelhochton muss ich mir noch mal ansehen. Komprimierte Aufnahmen (ich lass nebenbei gerne Youtube über Bluetooth laufen) werden gnadenlos aufgedeckt, manchmal nervt ein Zischeln bei Sibilanten oder Becken. Mal schauen, ob man das noch etwas sanfter hinbekommt. Ansonsten ist die Bühne da, der Sweetspot durch die etwas engere Aufstellung recht groß, eigentlich alles richtig, somit eigentlich auch fertig. Aber das Zischeln will ich noch besänftigen.
Leider gibt es alle beteiligten Chassis so nicht mehr neu zu kaufen. Der AMT 60 ist nur noch mit runder Frontplatte verfügbar. Das allein wäre noch kein Beinbruch. Aber sowohl der Exclusive 6M als auch der Exclusive 8 wurden eingestellt, was schade ist. Es handelt sich um sehr wertige und massive Treiber mit stabiler Membran, die als Auslaufmodelle zu sehr attraktiven Preisen gehandelt wurden.